LiteraTour – literarische Reise nach Minnesota
Die literarische Reise durch die USA führt mich diesmal nach Minnesota in den Norden der USA. Es werden die Romane „Eine kurze Zeit waren wir glücklich“ und „Stadt, Land, Raub“ ausführlicher vorgestellt.

Minnesota wurde als 32. Bundesstaat in die United States of America am 11. Mai 1858 aufgenommen.
Minnesota hat den Beinamen „North Star State“.
Das Staatsmotto lautet: „L’Étoile du Nord“.
Die Hauptstadt von Minnesota ist St. Paul.
Die größte Stadt ist Minneapolis.
TUBS, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons1
In der Metropolregion Minneapolis–Saint Paul(Twin Cities) lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung Minnesotas, wobei Minneapolis mit knapp 430.000 Einwohnern die bevölkerungsreichste Stadt des Bundesstaates ist. Minnesota wird auch als das Land der 10.000 Seen bezeichnet und tatsächlich gibt es über 11.000 Seen.
1851 verkaufte der Stamm der Dakota (Santee-Sioux) einen Großteil ihres Stammesgebiets im heutigen Minnesota an die Vereinigten Staaten. Als die vereinbarten Gegenleistungen ausblieben und sich die Reservate der Indianer weiter verkleinerten, kam es 1852 zu kriegerischen Auseinandersetzungen mit überwiegend deutschen Aussiedlern (Dakota-Konflikt). In Folge wurden die Dakota verfolgt und deren Reservate vollständig aufgelöst. Der Aufstand der Dakota (Santee) war die erste kriegerische Auseinandersetzung zwischen den Dakota und den Vereinigten Staaten. Es folgten viele weitere blutige Konflikte.
Neben den Dakota leben auch Ojibwe (s.u. Rendon und Ehrlich) in Minnesota. Im Norden liegt die White Earth Indian Reservation der Ojibwe, das flächenmäßig größte Reservat im Bundesstaat. Bis 1978 wurden häufig Kinder aus den Reservaten zur Adoption an nicht-indianische Familien freigegeben, was für viele später zu Problemen auf der Suche nach der eigenen Identität führte.
1968 wurde die AIM (Amerikanische Indianische Bewegung) in Minneapolis gegründet. Minneapolis und St. Paul hatten damals einen relativ großen indianischen Bevölkerungsanteil. Ziel waren die Wiederbelebung kultureller Werte der indianischen Stämme und der Kampf gegen Machtmissbrauch und Benachteiligung (siehe Stadt Land Raub).
Das Interesse für Politik soll in Minnesota hoch sein, was sich u.a. an einer überdurchschnittlich hohen Wahlbeteiligung zeigt. Seit 1972 gewannen in Minnesota regelmäßig demokratische Präsidentschaftskandidaten.
Ausgewählte Bücher mit Handlungsort Minnesota
| William Kent Krueger Für eine kurze Zeit waren wir glücklich Piper Verlag 2019 413 S. | Entwicklungsroman, Familiengeschichte, Krimi New Bremen, ein kleiner fiktiver Ort in der Nähe der Twin-Cities, 1961. Frank, ein dreizehnjähriger Junge, erlebt einen Sommer, der durch den Tod bestimmt wird und sein Leben für immer prägen wird. Eine einfühlsame Geschichte. Mehr zu Eine kurze Zeit waren wir glücklich | |
| Marcie Rendon Stadt, Land, Raub Argument Verlag mit Ariadne 2021 240 S. | Krimi, indigene Ermittlerin Fargo, Anfang der 1970er Jahre: Cash, native american, College-Studentin, Rübenfahrerin und in engem Kontakt mit Wheaton, Sheriff von Fargo. Die Suche nach einem verschwundenen Mädchen führt sie in die Großstadt Minneapolis.. Mehr zu Stadt, Land, Raub | |
| Sinclair Lewis Main Street Übersetzt von Christa E. Seibicke, mit einem Nachwort von Heinrich Steinfest Manesse Bibliothek, 2018 1008 S. | Klassiker, sozialkritischer Roman Carol, aufgewachsen in Minneapolis, ist eine junge ambitionierte Frau. 1912 heiratet sie den Arzt Dr. Kennicott und zieht mit ihm in das 3000-Seelen-Städtchen Gopher Prairie. Sie versucht das kulturelle Leben zu bereichern, doch stößt sie von Anfang an auf Hindernisse. Ihre Ideen befremden die eher konservative Bevölkerung des kleinen Ortes. Mir fiel es nicht ganz leicht bis zum Schluss bei diesem umfangreichen Werk durchzuhalten. Erstaunlich, wie sich Lewis in das Denken, die Zweifel und Gefühle der Protagonistin hineinversetzen konnte, aber auch in die Beziehungen der Bewohner von Gopher Prairie untereinander. Eine spannende Gegenüberstellung von urbaner Liberalität und ländlicher Kleinbürgerlichkeit, die sich zum Ende hin sehr versöhnlich auflöst. Sinclair Lewis wurde 1885 in einer Kleinstadt in Minnesota geboren. | |
| Louise Erdrich Jahr der Wunder Übersetzung: Gesine Schröder Aufbau Verlag, 2023 304 S. | Gesellschaftskritische Analyse Minneapolis, 2020. Tookie, eine Ojibwe, Mitarbeiterin einer Buchhandlung, wird immer wieder vom Geist einer ehemaligen Kundin heimgesucht. Dabei kommen Ereignisse aus ihrer Vergangenheit und ihrer indianischen Herkunft ans Licht. Neben diesen privaten Problemen erfordern auch gesellschaftliche wie die Pandemie ihre Kraft. Louise Erdrich ist die Tochter einer Ojibwe und eines Deutsch-Amerikaners. Das Buch hat mich in eine mir fremde Denkweise eingeführt, aber leider konnte ich mich nicht so richtig für die Geschichte erwärmen. | |
Rezension
Für eine kurze Zeit waren wir glücklich

William Kent Krueger
Für eine kurze Zeit waren wir glücklich
Originaltitel: Ordinary grace
Übersetzung: Tanja Handels
Piper Verlag 2019
413 S
piper.de
Erste Anzeichen
Der dreizehnjährige Frank Drum, Ich-Erzähler des Romans, berichtet von einem Jahr, dass das Leben in seiner Familie grundlegend verändert. Er lebt mit seinen Eltern, seinem kleinen Bruder Jake und seiner älteren Schwester Ariel in New Bremen, einem kleinen Ort, in der Nähe der Twin-Cities. Der Vater ist Pastor einer Methodistengemeinde. Die Mutter erfreut die Gemeinde mit ihrem Gesang. Zur Familie gehören noch Bobby Cole, ein geistig etwas zurückgebliebener Junge und Gus, ein Freund und Kriegskamerad des Vaters. Der Sommer 1961 wird zu einem Wendepunkt für alle Familienmitglieder.
Das große Sterben des damaligen Sommers begann mit dem Tod eines Jungen mit goldblondem Haar und einer dicken Brille, der auf der Bahnstrecke kurz hinter New Bremen in Minnesota ums Leben kam, zermalmt von tausend Tonnen Stahl, die über die Prärie Richtung South Dakota donnerten. Er hieß Bobby Cole.
und etwas später heißt es:
Es war ein Sommer, in dem uns der Tod in vielen Gestalten heimsuchte.
Es fing an mit dem Tod von Bobby Cole, der auf ungeklärte Weise auf den Bahngleisen von einer Eisenbahn erfasst wurde. Obwohl Frank und sein Bruder Jake wohl behütet in der Pastorenfamilie aufwachsen, bekommt dieses scheinbare Idyll damit gleich zu Beginn einen Riss.
Gus wird aus dem Gefängnis geholt
Ein Anruf mitten in der Nacht weckt die Familie Drum. Gus wurde wegen einer Schlägerei ins Gefängnis gebracht. Er hatte nicht hinnehmen wollen, dass Bobby Cole nach seinem Tod von anderen als Schwachkopf verhöhnt wurde. Frank und sein Bruder Jake begleiten den Vater ins Gefängnis, um Gus nach Hause zu holen. Die Fahrt im dosenerbsengrünen Packard Clipper, Baujahr 1955, genannt „Lizzie“, führt durch die Ebene um den Minnesota River, zum aus Granit erbauten Gefängnis in New Bremen.
Eine weitere Leiche
Trotz der Warnungen, sich nicht bei den Bahngleisen aufzuhalten, entdecken Frank und Jake bei einem unerlaubten Ausflug die Leiche eines Mannes unter der Eisenbahnbrücke am Ufer des Flusses. Neben dem Toten, einem Landstreicher, sitzt ein Indianer, der sich mit den Jungen unterhält und dann verschwindet. Die Begegnung wird für Frank im Verlaufe der Geschichte zu einer Belastung. War der Indianer Schuld am Tod des Mannes? Könnte er außerdem Schuld am Tod von Bobby Cole sein?
Die Familie Drum
Nathan Drum ist Geistlicher, der für drei Gemeinden zuständig ist. Seine Frau Ruth kann mit dem Glauben an Gott wenig anfangen und fühlt sich öfter hingezogen zu Emil Brandt, einem Musiker, der erblindet aus dem Krieg zurückgekehrt ist. Dieser wohnt zurückgezogen in einem abseits gelegenen Haus mit Garten zusammen mit seiner autistischen und stummen Schwester Lise, die ihm den Haushalt führt.
Als eines Tages auch noch Ariel verschwindet, vertieft sich die Kluft zwischen Vater und Mutter. Ruth verbringt noch mehr Zeit bei Emil Brandt.
Niederdrückende Stille
Die Sorge um Ariel führt zu einem Bruch in der Familie. Ruth kann keinen Trost im Glauben an Gott finden, während Nathan versucht sich durch seine Arbeit über die Tage zu retten. Auch er ist durch den Krieg traumatisiert.
Auf Frank lastet eine große Verantwortung. Er hat gesehen, in welche Richtung der Indianer verschwunden ist, bei dem die Kette seiner Schwester gefunden wurde. Irgendwann ist es zu spät, etwas zu sagen. Frank denkt, er habe einen Mörder entkommen lassen.
Die Stille war wie ein großer, schwerer Stein, der uns niederdrückte.
Zwar stellt sich am Ende heraus, dass nicht alles so ist wie gedacht. Doch prägend bleibt der Sommer für die Familie.
Die Toten sind nie weit von uns entfernt. Sie sind in unseren Herzen und in unseren Köpfen, und am Ende trennt uns wirklich nur ein einziger Atemzug von ihnen, ein letzter Lufthauch.
Mich hat der Roman mit atmosphärisch prägnanten Schilderungen einer Kleinstadt im Minnesota der 60er Jahren in den Bann gezogen. Wieder einmal las ich ein Buch, das ich aufgrund des Titels gar nicht ausgewählt hätte und war angenehm überrascht.
Stadt, Land, Raub

Lee Marcie Rendon
Stadt, Land, Raub
Original: Girl Gone Missing
Übersetzt: Jonas Jakob
Argument Verlag mit Ariadne
2021
240 S.
argument.de
Sie heißt Renee Blackbear, aber fast alle nennen sie Cash. Cash, eine indigene Amerikanerin (Native American), ist Studentin. Um sich etwas dazu zu verdienen, fährt sie nachts Rüben vom Feld in die Zuckerfabrik. Sie spielt leidenschaftlich Pool und passt auch sonst in kein gängiges Bild einer jungen Akademikerin. Mit der Zeit erfährt der Lesende den Hintergrund für die Verhaltensweisen von Cash. Wie viele andere Kinder wurde sie aus einem Reservat geholt und in Pflegefamilien gegeben. Die Auswirkungen der Zeit in den Pflegefamilien prägen den Charakter der Protagonistin nachhaltig.
Hintergrund
Der Roman spielt Anfang der 70er Jahre in Fargo. Es ist die Zeit der Bürgerrechtsbewegung, die auch auf die indigene Bevölkerung überschwappt. Die AIM (Amerikanische Indianische Bewegung) wird gegründet. Hoffnung keimt auf sich gegen Ungerechtigkeit zur Wehr setzen zu können.
Sie bauen in den Citys eine Straßenpatrouille auf. Die Bullen haben wohl zur Sperrstunde an der Franklin Avenue ständig Indianer einkassiert, einfach in den Kofferraum gepfercht und am Mississippi abgeladen und übel zusammengeschlagen. Also hat AIM Patrouillen eingeführt, um die Leute sicher nach Hause zu bringen. Die reden davon, dass Indianer für Rechte aufstehen sollen. Mein Freund sagt, sie sind wie Black Panthers, bloss für Indianer.
Einen großen Teil des Romans nimmt die Schilderung des Alltags von Cash ein. Sie geht eigenwillig ihren Weg und steht den Unternehmungen ihres indigenen Umfeldes zurückhaltend gegenüber. Nur widerwillig folgt sie der Einladung, an einem Powwow teilzunehmen. Ein Powwow ist eine gesellschaftliche Veranstaltung, die häufig über mehrere Tage dauert und sich zu einem Fest mit einer Mischung aus Tanzwettbewerb, Jahrmarkt und Familientreffen entwickelt.
Verschwinden einer Kommilitonin
Der einzige Mensch zu dem sie Vertrauen hat, ist Wheaton, der Sheriff von Fargo. Er hat ihr auch zum Studium verholfen. Als eines Tages eine Kommilitonin spurlos verschwindet, bewegt sie der Fall. Schließlich macht sie sich – trotz ihrer Abneigung gegen Großstädte – auf den Weg nach Minneapolis, wo sie selbst in Gefahr gerät.
Eindruck
Es handelt sich entgegen den Erwartungen, die der Titel weckt, nicht so sehr um einen Krimi. Rendon bettet an vielen Stellen Informationen über die Ojibwe-Kultur in die Geschichte mit ein. Dies machte für mich den Roman besonders interessant und regte mich zu ergänzender Recherche an. Der Plot blieb ein wenig farblos, tat aber insgesamt meinem Lesegenuss keinen Abbruch.
- https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0 ↩︎
