LiteraTour – literarische Reise nach Virginia
Die literarische Reise durch die USA führt mich diesmal nach Virginia. Es werden die Bücher „Demon Copperhead“, „Virginia“ und „Der letzte Wolf“ ausführlicher vorgestellt.

Virginia (offiziell Commonwealth of Virginia) hat sich als 10. Bundesstaat (von den 13 Gründungsstaaten) den United States of America am 25. Juni 1788 angeschlossen.
Virginia hat den Beinamen „Old Dominion“ („Altes Herrschaftsgebiet“)..
Die Hauptstadt von Virginia ist Richmond.
TUBS, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons1
Virginia liegt an der Atlantik-Küste. Ganz im Norden grenzt der Bundesstaat an Washington DC, was sich auf die Bevölkerungsdichte in der Region auswirkt. Von den insgesamt knapp 6,4 Millionen Einwohnern des Großraums Washington D.C. zählen 3,1 Millionen zu Virginia. Topografisch weist der Bundesstaat eine große Vielfalt aus, da er sich von der Küste bis zu den Appalachen erstreckt.
Aufgrund seiner Größe und Bevölkerungsstärke war Virginia im 18. und in der Anfangszeit des 19. Jahrhunderts der politisch führende Staat der USA. Insgesamt acht Präsidenten kamen aus Virginia
Gegensatz von Arm und Reich
Virginia gehört zu den wirtschaftlich erfolgreichsten Bundesstaaten der USA.Das reale Bruttoinlandsprodukt pro Kopf lag im Jahre 2016 bei USD 58.768 (leicht über dem nationaler Durchschnitt der 50 US-Bundesstaaten). In Virginia leben offiziellen Angaben zufolge rund 1,04 Mio. arme Menschen, das entspricht einem Prozentsatz von 14,1.2 Insbesondere im Westen ist die Armut groß, so zum Beispiel in Lee County (Handlungsort von „Demon Copperhead“), wo 23,9 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben.3
Im 18./19. Jahrhundert gab es mehr als 20 Colleges, an denen nur Frauen studieren konnten. Davon sind heute noch zwei übrig. (siehe Roman „Virginia“)
Ausgewählte Bücher mit Handlungsort Virginia
| Barbara Kingsolver Demon Copperhead Originaltitel: Demon Copperhead dtv Verlag, 2024 864 S. | Moderner David Copperfield Demon Copperhead, ein Waisenjunge, schlägt sich Ende der 1990er/Anfang der 2000er Jahre in den Appalachen in Virgina durchs Leben, wo viele sozial abgehängte, drogengebeutelte, Trump-wählende Weiße wohnen. Für einen Jungen wie Demon scheint es aussichtslos sich aus diesem Milieu zu befreien. Mehr zu Demon Copperhead | |
| S. A. Cosby Der letzte Wolf Originaltitel: All the sinners bleed Ars vivendi Verlag, Cadolzburg 2023 383 S. | Southern Noir Titus Crown kehrt nach jahrelanger Arbeit für das FBI in seine Heimat Charon County, Virginia, zurück, um der erste schwarze Sheriff in diesem Landstrich zu werden. Als Titus den Mord an einem Schwarzen aufklären muss, kommt er weiteren Verbrechen auf die Spur, an deren Aufklärung nicht alle im County interessiert sind. Mehr zu Der letzte Wolf | |
| Neil Zink Virginia Originaltitel: Mislaid Rowohlt Verlag 2019 318 S. | Schwarze Komödie, Gesellschaftssatire Ende der 1960er Jahre in Virginia. Am Frauencollege lernen sich die androgyne Peggy, die an Frauen interessiert ist, und der schwule Lee, Literaturprofessor am College, kennen und verlieben sich. Wie schon Anfangs zu vermuten ist, kann das nicht lange gut gehen. Mehr zu Virginia | |
| Jeannette Walls Vom Himmel die Sterne Originaltitel: Hang The Moon Übersetzung: Ulrike Wasel, Klaus Timmermann Hoffmann und Campe, 2003 478 S. | Vater/Tochter Anfang des 20. Jahrhunderts im ländlichen Virginia: Sally Kincaid ist die Tochter des „Duke“, eines der mächtigsten Männer in der Kleinstadt, der seinen Reichtum teils kriminellen Machenschaften verdankt. Zwischenzeitlich verstoßen kehrt Sally in die Familie zurück und steigt in den väterlichen Betrieb ein. Als Frau hat sie es nicht ganz einfach, sich durchzusetzen. Der Roman besticht durch ein Lokalkolorit Virginias während der Prohibition in den 20er Jahren und eine Heldin, die die Lesenden für sich einnimmt. | |
Rezension
Demon Copperhead

Barbara Kingsolver
Demon Copperhead
Original: Demon Copperhead
Übersetzung: Dirk van Gunsteren
dtv Verlag
2024
864 S.
dtv.de
Barbara Kingsolver ist mit ihrem Roman über Demon Copperhead eine Neuinterpretation des Klassikers von Charles Dickens „David Copperfield“ gelungen. Wie der Klassiker handelt auch Demon Copperhead – eigentlich Damon Fields – von einem Jungen, der in ärmlichen, geradezu aussichtslosen Verhältnissen aufwächst. Aufgrund seines roten Haarschopfs wird er schon früh als „Copperhead“ – eine in den Appalachen heimische Schlangenart – bezeichnet. Die Familie bewohnt einen Trailer in Lee County. Das County zählt zu den ärmsten der USA.
Ein Trailer in den Wäldern Virginias. Das Land der Tabakfarmer und Schwarzbrenner, der Hillbilly-Cadillac-Stoßstangenaufkleber an rostigen Pickups, aufgegeben von sämtlichen Superhelden und dem Rest der Nation.
Insbesondere die ländliche Bevölkerung hat es schwer. News, die über diese Gegend in den überregionalen Nachrichten auftauchen, zeugen von einem Bild, dass durch Armut geprägt ist.
Pinkie hatte angeordnet, alle Meldungen zu bringen, in denen Südwest-Virginia oder die Nachbarstaaten Tennessee oder Kentucky vorkamen. Was meist nicht der Fall war. Aber wenn doch, dann gings garantiert um Armut, geringe Lebenserwartung und so weiter. Der Gedanke dahinter: Wir waren der Schandfleck der Nation.
Demon wächst ohne seinen Vater auf. Der Stiefvater neigt zu Gewaltausbrüchen, die drogenabhängige Mutter verstirbt früh an einer Überdosis (von Medikamenten). Zuflucht findet der Junge bei den Peggots, einer liebevollen und harmonischen Nachbarsfamilie. Nach dem Tod der Mutter kommt Demon zu unterschiedlichen Pflegefamilien. Er muss hart arbeiten, gerät aber immer tiefer in die Abwärtsspirale. Kurze Zeit gibt es Hoffnung, als sein Talent als Football-Spieler erkannt wird, doch eine Knieverletzung führt zum Konsum von Schmerzmitteln, die ihn in die Abhängigkeit führen (Opioid-Krise).
Hoffnungsschimmer
Demon besitzt ein besonderes Talent zum Zeichnen von Comics. Zeichnen wird für ihn eine Möglichkeit seine Erlebnisse zu verarbeiten. Dabei begegnet er Herausforderungen, die ihm sein Leben stellt, oft auch mit Witz.
Der Roman ist spannend zu lesen, an vielen Stellen bedrückend (emotional berührend), aber auch immer wieder hoffnungsvoll. Die Autorin verknüpft Sozialkritik am Umgang mit Opioid-Opfern, am US-amerikanische Fürsorgesystem und an der Stigmatisierung der Landbevölkerung aus den Appalachen mit geschichtlichen und politischen Hintergründen. Am Ende habe ich den Roman fast ein wenig betrübt zur Seite gelegt, so vertraut sind mir die Akteure geworden.
Barbara Kingsolver erhielt für ihren Roman 2023 den US-amerikanischen Pulitzer-Preis für Belletristik.
Der letzte Wolf

S. A. Cosby
Der letzte Wolf
Originaltitel: All the sinners bleed
Übersetzung: Jürgen Bürger
Ars vivendi Verlag, Cadolzburg 2023
383 S.
arsvivendi.de
Charon County ist ein ländliches, fiktionales County mit 20.000 Einwohnern und 21 Kirchen. Wenn auch fiktiv, weist das County Ähnlichkeiten mit der Heimat des Autors auf. Titus Crown bewirbt sich als erster schwarzer Sheriff im County. Er hofft so Gerechtigkeit für Menschen seiner Hautfarbe durchsetzen zu können, weiß aber auch um die Gefahren.
In dem Augenblick, als er seine Kandidatur ankündigte, hatte er sich dafür entschieden, in einem Niemandsland zu leben – zwischen Menschen, die an ihn glaubten, Menschen, die ihn wegen seiner Hautfarbe hassten, und Menschen, die ihn für einen Verräter seiner Rasse hielten.
Als ein Amokläufer in einer Schule einen Lehrer und Schüler bedroht, wird er zum Einsatz gerufen. Er bemüht sich um Deeskalation, doch eine unglückliche Armbewegung des Amokläufers führt zur Erschießung des jungen Farbigen. Titus fühlt sich schuldig am Tod, muss aber auch zu seinem Kollegen stehen, der meinte aus Notwehr schießen zu müssen.
Opfer des Amoklaufs ist ausgerechnet der beliebte Geografie-Lehrer Mr. Spearman. Im Laufe seiner Ermittlungen stößt Titus auf dem Smartphone des ermordeten auf verstörende Fotos. Diese zeugen von Folter und Mord, die an überwiegend farbigen Kindern und Teenagern begangen wurden. Zu sehen sind Spearman, der Amokschütze und eine dritte Person, die sich hinter einer Wolfsmaske versteckt.
Bei seinen Ermittlungen muss Titus mit Hindernissen auf allen Seiten kämpfen: mit korrupten Kollegen, misstrauischen Freunden, komplizierten Familienbeziehungen und einer nicht richtig abgeschlossenen Beziehung, sowie den eigenen Alkoholproblemen.
Der Roman spielt 2018, ein Jahr nach dem Beginn der ersten Regierungszeit von Trump als Präsident. Deutlich wird das Wiedererstarken von Rassismus und Patriotismus, bei gleichzeitig selektiver Wahrnehmung historischer Entwicklungen. Die Personen werden differenziert dargestellt, so dass kein vorschnelles Urteil möglich ist. Mir hat das Buch durch diese differenzierte Darstellung sehr gut gefallen.
Virginia

Neil Zink
Virginia
Originaltitel: Mislaid
Übersetzt von Michael Kellner
Rowohlt Verlag 2019
318 S.
Rowohlt.de
Nell Zink ist eine Autorin, die sich in ihren literarischen Werken gerne von satirischen und witzigen Einfällen leiten lässt. So ist auch Virginia von absurden Ideen und Spielereien geprägt.
Lee und Peggy werden ein Paar
Lee (Fleming) und Peggy (Vallaincourt) lernen sich im Stillwater College kennen. Die beiden, eigentlich eher gleichgeschlechtlichen Partnern zugewandt, erleben Ende der 1960er Jahre eine leidenschaftliche Affäre. Als Peggy schwanger wird, beschließen sie zu heiraten. Nach der Geburt des Sohnes, Byrdie, kommt eine Tochter, Mickie, zur Welt. Peggy merkt in der Ehe zunehmend, dass sie ihre eigenen Ambitionen aufgegeben hat zugunsten von Lee, der als Hochschulprofessor arbeitet. Nach zehn Jahren beschließt Peggy ihren Mann zu verlassen und sich auf die Suche nach einem einsamen Haus zu machen, um ein neues Leben zu beginnen.
Es würde nicht so einfach sein, im südöstlichen Virginia ein verwaistes Haus zu finden. In Ermangelung großer Flüsse als Verbindungsadern hatten sich die Dinge in kleinerem Maßstab entwickelt. …
Wo es keine Kiefern gab, gab es Sümpfe voller Wildtiere. Bumm, knall, jaul. Noch ohrenbetäubender. Im Herbst und Winter verhungerten an den Straßen Jagdhunde, die glaubten, jeder vorbeifahrende Laster sei der Jäger, der sie ausgesetzt hatte, und nebenherrannten, um eingelassen zu werden. Tod durch Vertrauen,Die Menschen waren grundsätzlich hartherzig und schwerhörig und womöglich nicht allzu versessen darauf, einen zu verstehen, wenn man etwas sagte.
Neue Identitäten
Auf einem Friedhof entdeckt sie das Grab von Karen Brown, die Tochter einer netten schwarzen Familie, die Peggy kannte. Spontan beschließt Peggy sich die Geburtsurkunde von Karen Brown zu besorgen.
Im Auto auf dem Weg nach Hause sah Peggy immer wieder Mickey an und sagte: «Karen. Karen? Karen. Karen.»
«Wer ist Karen?»
Sie stieß sie in die Seite. «Du bist Karen! Mit einem Jungennamen wie Mickey kannst du doch nicht in die Schule gehen! Du brauchst einen Mädchennamen, und dein Mädchenname ist Karen. Karen Brown. Mein Mädchenname ist Meg. Meg und Karen Brown.»
«Wir sind Mädchen», sagte Mickey.
«Da kannst du deinen süßen Hintern drauf wetten, dass wir Mädchen sind!»
Und so werden Peggy und Mickey zu Meg und Karen, was Peggy in den Genuss einiger Vergünstigungen für Schwarze (Fördermaßnahmen und ein kostenloses Lunch) bringt. Zwar äußert sich die Schulsekretärin irritiert über die helle Hautfarbe, doch ist die Unterscheidung im Laufe der Jahrzehnte immer schwieriger geworden.
Vielleicht muss man aus dem Süden stammen, um zu begreifen, was blonde Schwarze sind. Virginia war besiedelt, bevor die Sklaverei begann, und es war bunt. Es gab lohfarbene Schwarze mit haselnussbraunen Augen. Schwarze mit rotbraunem Haar, einer Haut wie Butter und tiefblaugrünen Augen. Einer der Vorsitzenden der NAACP in den vergangenen Jahren war ein blonder und blauäugiger Schwarzer gewesen. Die einzige Möglichkeit, Weiße und Schwarze zwecks Rassentrennung auseinanderzuhalten, bestand in der Ein-Blutstropfen-Regel: War nur einer deiner Vorfahren schwarz – und sei es irgendwann in den Tiefen der Weltgeschichte, angefangen bei Noahs Sohn Ham -, dann warst du es auch.
Die Geschichte sprüht vor originellen Begebenheiten und phantastischen Wendungen, mit denen sowohl die konservative WASP-Familie um Lee als auch der Umgang mit Schwarzen auf die Schippe genommen werden. In der Mitte hatte der Roman für mich ein paar unnötige Längen. Insgesamt aber mit einem Augenzwinkern gelesen ein köstlich amüsantes Buch einschließlich des unwahrscheinlichen Happyends. In Kritiken habe ich gelesen, dass die Situation von Schwarzen nicht ausreichend differenziert dargestellt wird. Dieses Anliegen kann ich jedoch auch gar nicht erkennen. Hier werden eher Weiße aufs Korn genommen, in ihrem Bemühen eine plausible Abgrenzung der Rasse zu finden. Mir hat das Buch gefallen.
